Der Weg von der S-Bahn- Haltestelle Österfeld zum Abenteuerspielplatz lässt erahnen, dass ich den trüben Stuttgarter Talkessel verlassen habe. Die Sonne scheint, ein Weg führt durchs krautige Gebüsch und nach wenigen Gehminuten stehe ich bereits vor dem Holztor, auf dem mich ein von Kindern gemalter Dino begrüßt. Dahinter erstreckt sich ein riesiges, modelliertes Freigelände: Bäume, Büsche und Wiesen, ein Wasserspielplatz, hinter dem sich ein Hügel zu einer beeindruckenden Kletter-Burg erhebt, eine Feuerstelle, ein Freigehege für Hasen und Ziegen, sowie ein Hüttendorf fallen mir dabei gleich ins Auge.
Bereits 1973 wurde der Aktivspielplatz von engagierten Eltern als Verein gegründet, mit dem Ziel, einen Spielraum für Kinder in der Stadt zu schaffen, in dem sie sich austoben und die Natur erleben können. Die Konzeption sah dabei von Anfang an einen pädagogisch betreuten Spielplatz vor, auf dem die Kinder aber trotzdem ungestört spielen sollten. „Auch heute, vierzig Jahre später, ist dieser Ansatz nach wie vor gültig“, betonen die Sozialpädagogin Dagmar Kolb und der Jugend- und Heimerzieher Uli Matschkal, zwei der insgesamt drei hauptamtlichen pädagogischen Betreuer des Platzes, mit denen ich mich zum Gespräch verabredet habe.
Abenteuer- und Aktivspielplätze und Jugendfarmen sind offene Einrichtungen für Kinder im Alter zwischen etwa sechs und vierzehn Jahren. Insgesamt 22 Plätze dieser Art gibt es allein innerhalb der Stadtgemarkung Stuttgarts. Auf vielen dieser Gelände finden sich neben einem Platz zum Bauen von Hütten und Buden, eine Feuer- und Wasserstelle, ein Garten, in dem Kinder Gemüse anbauen können, aber auch Werkstätten für das Arbeiten mit Ton, Holz und Metall und Unterstände und Stallungen für verschiedene Tiere. Insbesondere die Jugendfarmen haben hier ihren Schwerpunkt. „Bei jedem Wetter draußen zu sein, sich schmutzig machen zu dürfen, selbst ein Feuer zu machen, mit Wasser zu plantschen, in der Erde zu graben, sind dabei wichtige, elementare Erlebnisse für die Kinder, die zu uns kommen“, so Kolb.
Dass heutigen Kindern diese Sinneserfahrungen immer häufiger fehlen und sie sich im Vergleich zu früher immer weniger bewegen, beklagen nicht nur Ärzte und Therapeuten. Auch in den Schulen wird festgestellt, dass es immer mehr verhaltensauffällige Kinder gibt. „Natur macht gesund“, lautet demnach auch das Credo des Buches Mehr Matsch-Kinder brauchen Natur.
Der Biologe und Philosoph Andreas Weber beschreibt darin eindrücklich, wie sich die Lebenswirklichkeiten unserer Kinder in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Während die jetzige Elterngeneration noch ganze Nachmittage draußen mit Spielkameraden bei Räuber und Gendarm verbringen konnte, tragen auch veränderte Schulzeiten und verplante Freizeitaktivitäten dazu bei, dass heutzutage kaum noch Kinder im Freien zu finden sind. „Zudem haben viele Eltern Angst, dass ihren Kindern beim Draußenspielen etwas passieren könnte“, so Matschkal. Dabei sind naturnahe Erfahrungsräume und der Kontakt zu Tieren für alle Menschen, nicht nur für Kinder, wichtig.
„Das unstrukturierte, imaginative, von Erwachsenen freie Erobern einer wilden Welt betrachten viele Kognitionsforscher inzwischen als essentiell für eine gesunde psychomotorische Entwicklung“, heißt es im Buch „Mehr Matsch“. Während sie auf angelegten Spielplätzen eher sportliche Wettkämpfe inszenieren, würden Kinder in unstrukturierten Räumen komplexe Abenteuer ersinnen, die sich über Tage und Wochen hinziehen können und weiter: „Entwicklungspsychologen führen Kreativität und Imaginationsfähigkeit, die ein Kind im späteren Leben entwickelt, auch auf das Maß an Wildnis zurück, in das ein Kind eintauchen durfte.“
Kinder können auf dem Abenteuerspielplatz in Vaihingen, kurz ABI genannt, dieses Maß an Wildnis erleben und dabei ein bisschen das „Spielen wie früher mit vielen Kindern erleben“, so Matschkal. Dabei seien sie nicht sich selbst überlassen. „Die Kinder sollen und dürfen hier ungestört, das heißt ohne Eltern spielen. Aber sie bekommen von uns auch Anregungen und Hilfestellungen, wenn es zum Beispiel beim Hüttenbauen nicht klappt“.
Und bevor jemand damit beginnen kann, muss er erst einmal nachweisen, dass er mit Hammer und Säge verantwortungsvoll umgehen kann. „Unser Werkzeugführerschein ist dabei dann häufig der Beginn einer jahrelangen Bautätigkeit“, erzählt der Pädagoge lachend. Neben dem Hüttenbauen und der Holzwerkstatt gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, sich handwerklich zu betätigen. Eine Tonwerkstatt, deren Wiederaufbau demnächst abgeschlossen sein wird, steht den Kindern zur Verfügung.
Aber auch in den monatlich wechselnden Programmen, bei denen die Kinder, wenn sie mögen, teilnehmen können, gibt es viele Materialien, an denen sie sich ausprobieren und Erfahrungen sammeln können. „Von Metall über Speckstein bis hin zur Verarbeitung von Wolle und vielem mehr reicht dabei die Palette“, so Kolb.
Dass diese Angebote weitestgehend kostenlos sind und Eltern woanders für ähnliche Betätigungen ihrer Kinder viel Geld ausgeben müssen, scheinen viele nicht zu wissen. Ein weiterer Baustein des ABI‘s ist das Erleben der Jahreszeiten: im Frühling wird im Garten Gemüse eingesät und wenn alles gut geht, im Sommer und Herbst geerntet, Wasserschlachten am Teich, Lagerfeuer mit Stockbrot, Saftpressen im Herbst und Plätzchen backen im Winter sind dabei unter anderem feste Bestandteile des ABI-Jahres.
„Es muss aber nicht immer Action sein“, betont Kolb. Manche Kinder kämen erst einmal auf den Platz, um im gemütlichen Haupthaus auf dem Sofa abzuhängen. „Und es kommt auch vor, dass sie zunächst einmal nichts mit sich anzufangen wissen“, berichtet sie. Für die Fachfrau auch ein Zeichen einer gewissen Erschöpfung, die Kinder mit sich bringen, wenn diese den ganzen Tag mit schulischen Anforderungen und darüber hinausgehender verplanter Zeit überladen werden. Mit gemischten Gefühlen sieht das pädagogische Team daher auch die Entwicklung hin zu immer mehr Ganztagsschulen und das nicht nur deshalb, weil dem Platz dann immer mehr Kinder wegbrechen werden.
Wehmütig verlasse ich an diesem Morgen nach dem Gespräch und Rundgang den Platz. Gerne würde ich noch länger die Ziegen streicheln, am Feuer stehen oder mich auf den Hügel setzen und mir die Wintersonne auf den Kopf scheinen lassen, aber es ist schon 13 Uhr und ab 13.30 Uhr wird der Platz für die Kinder geöffnet. Dann heißt es: Erwachsene tabu. So mache ich mich auf den Nachhauseweg mit der Gewissheit, hier wirklich ein kleines Paradies für Kinder gefunden zu haben!
Infos:
für alle Kinder von 6 - 14 Jahren, kostenlose Teilnahme.
Öffnungszeiten: Schulzeit: Di - Sa 13.30 - 18 Uhr, in den Ferien: Mo - Fr 11.00 - 18.00 Uhr.
Täglich von 17 - 18 Uhr und an den sogenannten Familiensamstagen ist Besuchszeit für Menschen, die jünger als 6 und älter als 14 Jahren sind. Besonderheiten/Schwerpunkt: Riesiges Außengelände mit vielfältiger Topografie, großer Hüttenbaubereich.
von Sabine Rees