
Ressourcen fördern
In sogenannten Schulkindergärten werden Kinder mit Behinderungen ab drei Jahren betreut, die einen besonderen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. In Baden-Württemberg gibt es rund 250 öffentliche und private Schulkindergärten.
Betritt man den Schulkindergarten der Lebenshilfe Göppingen in Heiningen, so meint man, einen gewöhnlichen Kindergarten vorzufinden. Bunt, freundlich, einladend sieht es aus. Morgens gegen 8 Uhr trudeln die Kinder von zuhause mit Bussen der Lebenshilfe im Schulkindergarten ein, jedes Kind wird von seiner Erzieherin begrüßt, dann findet der Morgenkreis und das gemeinsame Frühstück statt. Im Haus gibt es fünf Gruppenräume für die fünf Kindergruppen mit etwa sechs bis acht Kindern, in denen sich die Mädchen und Jungen zum Beispiel im Freispiel üben können. Ein gemeinsames, warmes Mittagessen und Ruhepause sowie Spielen im angrenzenden Spielplatz gehören selbstverständlich zum bunten Kindergartenalltag dazu. Bis 14 Uhr dauert der Alltag im Kindergarten, nach Betreuungsende werden die Kinder abends wieder mit Bussen der Lebenshilfe nach Hause gebracht.
Soweit unterscheidet sich ein Schulkindergarten nicht von einem üblichen Regelkindergarten. Wenn man genauer hinschaut aber schon, denn Schulkindergärten bieten Kindern mit Förderbedarf eben diese notwendigen, besonderen Förderangebote, die man sonst im Regelkindergarten nicht findet. Welche Kinder von drei bis sechs Jahren in einem Schulkindergarten am besten aufgehoben sind, weiß die Leiterin des Schulkindergartens in Heiningen, Dunja Heinzmann. Laut ihr sind Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen in Schulkindergärten untergebracht, dazu gehören zum Beispiel Kinder mit Gendefekten, Entwicklungsverzögerungen, Down-Syndrom oder etwa Kinder, die dem Autismus-Spektrum zugehörig sind oder bei deren Mama ein Alkohol- und Drogenmissbrauch in der Schwangerschaft stattfand.
Förderbedarf anerkennen
Oftmals werden die Kinder trotz ihres Förderbedarfs von ihren Eltern zuerst in einem Regelkindergarten angemeldet, denn manche Eltern scheuen sich, den erhöhten Förderbedarf ihres Kindes gleich anzuerkennen. Doch der Plan geht nicht auf, die Kinder fallen auf im Regelkindergarten und werden dann von den Erzieherinnen aus den Regeleinrichtungen an einen Schulkindergarten verwiesen. Kostbare Zeit geht so verloren, in der das Kind nicht notwendig gefördert wurde. Manchmal finden die Kinder den Weg in den Schulkindergarten auch nach Kontaktaufnahme und Diagnose durch ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ). Das SPZ ist eine kinderärztlich geleitete, interdisziplinär arbeitende Einrichtung an einer Klinik für Kinder und Jugendliche. Ein Sozialpädiatrisches Zentrum bietet Eltern und Kindern fachliche Hilfe und Unterstützung, wenn es aufgrund einer Erkrankung zu Störungen in der Entwicklung des Kindes kommt, zu Behinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten.
Kinder mit hohem Betreuungsaufwand
„Für Kinder im Schulkindergarten ist ein viel höherer Betreuungsaufwand nötig als in einem gewöhnlichen Kindergarten. Aktuell sind bei uns für eine Gruppe mit körperlich behinderten Kindern 1,5 Stellen für Erzieher sowie eine Praktikantin im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres eingeplant, für die Gruppe mit geistig behinderten Kindern eine Erzieherin plus Praktikantin“, erläutert Dunja Heinzmann.

Das erscheint nicht gerade üppig und angemessen, denn oftmals müssen die Erzieher und Erzieherinnen den Kindern deutlich mehr Angebote machen, da diese keine natürliche Spielidee haben. Bildung, Erziehung und Förderung des jeweiligen Kindes muss sehr individuell gestaltet und kindgemäße Spiel- und Lernsituationen angeboten werden, die zu den Interessen, Motivationen und Talenten des jeweiligen Kindes passen. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist intensiver als im Regelkindergarten, ebenso die Kooperation mit Schulen im Umfeld, externem Fachpersonal wie Therapeuten.
Interdisziplinäres Team
Auch mit unterstützter Kommunikation zwischen Erzieher und Kind wird oft gearbeitet, manche Kinder verständigen sich nur mit Gebärden oder mit Bildtafeln. Das Team an Erziehern und Erzieherinnen im Schulkindergarten in Heiningen wird unterstützt von einer Hauswirtschaftskraft, einer Motopädin und Sonderschullehrern der Bodelschwingh-Schulen Göppingen und Geislingen. Die Lehrer sind jeweils an einem Vormittag in einer Gruppe begleitend dabei. Das hört sich erst einmal gut an, aber konkret heißt dies, dass diese zusätzliche sonderpädagogische Fachkraft etwa eine Stunde Zeit für ein Kind in der Woche hat. Kooperationen mit einer Praxis für Logopädie und einer für Ergotherapie ergänzen das Betreuungsangebot.
Während also 1,5 Stellen für eine Gruppe von sechs bis acht Kindern mit Förderbedarf im Schulkindergarten in Heiningen vorgesehen sind, kommt laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Baden-Württemberg eine Erzieherin bei der Betreuung von Kindern zwischen zwei und unter acht Jahren in einem Regelkindergarten auf sechs Kinder. Diese Studie zum Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen umfasst das Jahr 2019 und erschien im Januar 2020.
„30 Plätze kann der Schulkindergarten der Lebenshilfe Göppingen bieten“, so Dunja Heinzmann. „Grundlage ist ein entsprechendes sonderpädagogisches Gutachten und die Entscheidung des Staatlichen Schulamts Göppingen. Erst dann kann ein Kind in den Schulkindergarten aufgenommen werden. Die Kosten für den Platz im Schulkindergarten werden in der Regel vom Kreissozialamt oder Kreisjugendamt übernommen, für die Eltern bleibt ein geringer Eigenanteil, mit dem sie sich beteiligen müssen.“
Erzieher*innen benötigen Zusatzqualifikation
Die Arbeit mit den Kindern ist ressourcenorientiert, nicht defizitorientiert. „Wir schauen, was das Kind kann, was möglich ist, möchten jedes Kind individuell fördern. Für uns ist die Teilhabe das Wichtigste“, sagt Dunja Heinzmann. Die Erzieher im Kindergarten in Heiningen verfügen über verschiedene Zusatzqualifikationen, um die Herausforderungen in solch einem besonderen Kindergarten meistern zu können. Dunja Heinzmann: „Die Haltung des Fachpersonals ist entscheidend, um hier arbeiten zu können. Mitleid ist hier fehl am Platz, denn auch Kinder mit Behinderungen können lernen, selbständige Persönlichkeiten zu werden und ihre Stärken zu entwickeln. Basis unserer Arbeit mit den Kindern ist immer die Bindung zu dem Kind, da kann man ansetzen.“
Mit Vorurteilen muss sich der Schulkindergarten immer wieder auseinandersetzen, so vermuten manche Eltern durchaus, dass vermeintlich schwächere Kinder das eigene Kind an der Weiterentwicklung hindern könnten. Oder dass das eigene Kind den Stempel bekommt, dass es in einen Kindergarten für Behinderte geht und später in einer Werkstatt landen wird. Dabei ist der weitere Werdegang des Kindes oft noch völlig offen, nach Ende der Kindergartenzeit folgt ein erneuter Besuch von einem externen Sonderpädagogen und ein Gutachten, um abzuklären, welche Schulform anschließend empfohlen wird.