
Liebe, Beziehungen und Sexualität trotz Handicap
Das Bedürfnis nach Körperlichkeit bei Jugendlichen und jungen Menschen mit Behinderungen ist häufig ein Tabuthema, da sie von ihrem Umfeld als asexuell wahrgenommen werden. Doch Sexualität und körperliche Nähe sind bei ihnen nicht weniger wichtig, als bei anderen Menschen.
Sexualpädagogin Theresa Reinfelder, die zusammen mit ihrem Kollegen Frank Schwab bei der Lebenshilfe Stuttgart rund um die Themen Beziehung, Liebe und Sexualität berät, weiß aus Erfahrung, dass viele Menschen mit Behinderungen sich einen normalen Umgang mit Partnerschaft, Körperlichkeit und Sexualität wünschen.
Leidenschaft und Zärtlichkeit
„Wir unterstützen die Menschen bei der Lebenshilfe Stuttgart und ermöglichen ihnen, so weit wie möglich ihre Wünsche und Lebenspläne zu erfüllen. Sie sollen Zeit miteinander verbringen, bei ihren Partnern übernachten oder zusammen leben können“, erklärt Reinfelder. Um dies zu ermöglichen, hat sie zusammen mit ihrem Kollegen ein sexualpädagogisches Konzept erarbeitet, in dem klare Regeln erläutern, was in Ordnung ist und was nicht: „Manche Menschen möchten keine Sexualität leben, manche Menschen möchten Sexualität alleine erleben und manche Menschen möchten jemandem nahe sein und Wärme, Leidenschaft und Zärtlichkeit zusammen erleben“, heißt es zum Beispiel in der Broschüre der Lebenshilfe „Ich mach’s eigentlich gerne!“.
Bedürfnis ernst nehmen
Wenn Kinder mit unterschiedlichsten Einschränkungen zu Jugendlichen heranwachsen, bemerken ihre Eltern, ebenso wie andere Eltern pubertierender Kinder, dass sich deren Hormonhaushalt verändert und sie sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen.
So wie Leonie, die heute 22 Jahre alt ist, und aufgrund einer schweren Erkrankung nicht mehr sprechen und gehen kann. Doch geistig ist sie fit und „lebt auf, wenn ein männlicher Pfleger sich um sie kümmert“, berichtet ihre Mutter mit einem Schmunzeln. „Noch vor etwa fünf Jahren, als die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten war, hatte Leonie einen Freund in ihrer Klasse, mit dem sie gerne Zärtlichkeiten ausgetauscht hat“, erinnert sich die Mutter. Die beiden ergänzten sich sehr gut, da sie sehr unterschiedliche Beeinträchtigungen hatten.
Leonies Eltern haben die Bedürfnisse ihrer Tochter ernst genommen und sie dabei unterstützt, ihren Freund zu treffen oder mit ihm zu skypen, als die Treffen immer schwieriger und aufwendiger wurden. Damit haben sie ihr ermöglicht, das Bedürfnis, einem Jungen nahe zu sein, auszuleben.
Aufklärung wichtig
Sexualpädagogin Reinfelder sieht Themen wie „Werte in einer Beziehung, Grenzen formulieren und einhalten und Verhütung“ für Jugendliche mit Beeinträchtigungen ebenso wichtig wie für andere Heranwachsende.
Falls Eltern Hemmungen haben, die Aufklärungsarbeit alleine zu leisten, empfiehlt Reinfelder, sich Unterstützung zu holen: „Es gibt wunderbare Materialien, auch online, welche als Hilfe dienen können“. Wichtig sei es auf jeden Fall, mit dem Kind darüber zu reden, „auch um es vor sexualisierter Gewalt zu schützen“, betont die Sexualpädagogin. Auch Beratungsstellen wie Pro Familia können hier behilflich sein, denn „die Sicht der Eltern auf ihre Kinder und die damit verbundenen Ängste“ können laut Reinfelder manchmal hinderlich sein, einen natürlichen Umgang mit der Thematik bei den betroffenen jungen Erwachsenen zu schaffen.