
Klimawende - Wie schaffen wir es, dass alle mitmachen?
Die Anpassung des Konsumverhaltens einzelner Verbraucher wird nicht ausreichen. Der Klimawandel ist zu weit fortgeschritten, so dass wir ohne große Maßnahmen nicht auskommen. Zwei Publikationen aus den letzten beiden Jahren nehmen sich aus unterschiedlicher Perspektive der Frage an, wie die Erderwärmung überhaupt noch begrenzt werden kann.
Ein Student betritt an einem Wintermorgen einen Supermarkt. Im Gepäck (Kopf) hat er die beeindruckende Dokumentation „Before the flood“ von Leonardo DiCaprio und Fisher Stevens, die er gerade gesehen hat. Unheimliche Bilder von kollabierenden Eisbergen in Grönland, überfluteten Straßen in Miami und kanadischen Ölsand-Feldern schwirren ihm noch im Kopf umher. Umso mehr macht er sich Gedanken, wie er den Einkauf möglichst klimafreundlich bestreiten kann.

Mit dem ersten Dilemma sieht er sich am Gemüseregal konfrontiert. Welche Tomaten soll er kaufen? Regional oder aus Spanien, konventionell oder bio, in Plastik verpackt oder ohne Verpackung? Letzten Endes entscheidet er sich für die konventionellen, regionalen, verpackungsfreien Strauchtomaten. Ob das nun aber die richtige Wahl war?
Trotz des Wissens darum, dass Fleisch, allem voran Rindfleisch, klimaschädlich ist, landet ein Stück Bio-Rindfleisch im Einkaufswagen des Studenten. Dafür entscheidet er sich in der Abteilung mit den Hygiene-Artikeln für eine Holzzahnbürste, die als klimafreundlich beschrieben wird. Das schlechte Gewissen überfällt ihn wieder an der Kasse, als er feststellt, den Jutebeutel vergessen zu haben und auf dem Parkplatz, wenn er die Einkäufe ins Auto lädt.
Begrenzter Einfluss der Verbraucher
Der Student ist der Autor Gabriel Baunach. Letztes Jahr erschien sein Sachbuch „Hoch die Hände Klimawende – Warum wir mit der Holzzahnbürste nicht die Erderwärmung stoppen – und wo unsere wirklichen Hebel sind“. Dass sein Einkaufserlebnis ein paar Jahre zurückliegt und er nun anders denkt, verdeutlicht der Untertitel des Buches. Baunach möchte die Bemühungen um privates klimabewusstes Handeln nicht schmälern. Gerade wenn wir uns mit den „Big Points“ befassen würden, die sich um die Fragen „Wie und wo wohne ich?“, „Wie komme ich von A nach B?“ oder „Was esse ich?“ drehen, könnten wir einiges bewirken. Womöglich könnten wir durch vorbildliches Verhalten und Gespräche darüber unser Umfeld beeinflussen. Allein dadurch könnten wir die Erderwärmung aber nicht aufhalten.
Dieser Ansicht ist auch der Ökonom Achim Wambach. Er ist Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. In seinem Buch „Klima muss sich lohnen - ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen“ nähert er sich aus wirtschaftlicher Sicht der Frage an, wie man die Erderwärmung begrenzen kann. Die Entscheidungsfrage nach der richtigen Tomate greift auch er auf. Seiner Ansicht nach können sich Verbraucher gerade nur schwer richtig entscheiden, weil sie dafür die komplette Lieferkette kennen müssten. Die Politik müsse dafür sorgen, die richtige Entscheidung dem Konsumenten einfach zu machen, indem die CO²-Emissionen Einfluss auf die Preise von Produkten haben. Wenn das emissionsärmste Produkt zugleich das Günstigste sei, falle nicht nur die Konsumentscheidung leicht, sondern klimafreundliches Handeln würde sich auch noch lohnen.

Gabriel Baunach
Hoch die Hände Klimawende – Warum wir mit der Holzzahnbürste nicht die Erderwärmung stoppen – und wo unsere wirklichen Hebel sind
Edition Michael Fischer 2023, ISBN 978-3-7459- 1842-7, 18 Euro
Handabdruck statt Fußabdruck
Beide Autoren sind sich einig, dass der CO²-Fußabdruck, den das britische Mineralölunternehmen BP vor allem bekannt gemacht hat, in gewisser Weise ein Ablenkungsmanöver ist, mit dem Konzerne die Verantwortung an die Verbraucher abzuwälzen versuchen. Das ist für diejenigen, die sich schon eingehender mit Klimaschutzfragen beschäftigt haben, nichts Neues. Interessant ist aber, wie Gabriel Baunach und Achim Wambach vorschlagen, etwas gegen den Klimawandel zu tun.
Baunach warnt den Leser davor, zu viele Ressourcen bei der Auseinandersetzung um den richtigen Lifestyle zu vergeuden. Dies könne passieren, wenn eine asketische ebensweise primär zu Frust führt oder der moralische Zeigefinger gegenüber anderen die Solidarität stört, die vonnöten ist, um gemeinsam etwas erreichen zu können. Er ermutigt die Leser, sich lieber um einen positiven Handabdruck zu bemühen statt am Fußabdruck zu verzweifeln.

Damit meint er, sich über den eigenen Tellerrand hinaus für den Klimaschutz einzusetzen. Dies könne auf verschiedene Weise erfolgen. Beispielhaft beschreibt er, wie sich Studenten dafür einsetzten, ein größeres und günstigeres Angebot von vegetarischem Essen in der Mensa zu erhalten. Genauso könnten sich Arbeitnehmer im Betrieb lautstark für eine solche Veränderung oder den Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter einsetzen.
Wem solches Engagement zu weit geht, der könne auch durch OnlineKommentare oder die bewusste Anlage des Geldes Einfluss ausüben. In einem Kapitel geht er nicht nur auf Banken ein, die mehr oder weniger klimafreundliche Investitionen tätigen, sondern auch auf Versicherungen, deren Einlagen unterschiedlich verwendet würden. Freilich könne man sich auch in NGOs engagieren oder diese vielleicht nur finanziell durch Spenden unterstützen. Man könne sich beim Social Change Lab, bei Founders Pledge, Giving Green oder unter effektiv-spenden.org informieren. Durch den Handabdruck würden sich letztlich deutlich mehr Treibhausgase einsparen lassen, als durch die Konzentration auf den persönlichen Fußabdruck.
Wirksame Eingriffe von oben
Auch Achim Wambach hält die Wirksamkeit des Fußabdrucks für begrenzt. Er geht auf die Wirkungsweise verschiedener Märkte ein und meint, dass ein intelligentes Marktdesign die Erderwärmung beschränken kann. Zunächst beschreibt er, wie der europäische Emissionshandel, das so genannte „EU Emission Trading System“ (EU-ETS) funktioniert. So müssen die, die Emissionen verursachen, dafür ein Zertifikat haben. Der Preis für eine Tonne Kohlenstoffdioxid, was einem Zertifikat entspricht, beträgt derzeit über hundert Euro.
Die Zertifikate können erworben werden, manche Firmen bekommen sie geschenkt, um ihre Abwanderung ins Ausland zu verhindern. Da überschüssige Zertifikate an einer Börse verkauft werden können, haben auch solche Unternehmen einen Anreiz, auf die klimafreundliche Produktion umzustellen. Durch den so genannten „Cap“ ist die Anzahl der Zertifikate begrenzt und somit auch der CO²-Ausstoß in Europa. Die schrittweise Verteuerung derselben soll zusätzlich dazu beitragen, in Europa das Klimaziel zu erreichen.
Wambach ist sich durchaus dessen bewusst, dass solche Einsparungen, die nur Europa betreffen, die Welt nicht retten können. Daher schlägt er vor, dass die wichtigsten Industrienationen in einem Klimaklub zusammenkommen und ähnliche Tools entwickeln sollen, um die Emissionen von oben zu regulieren. Wichtig wäre vor allem, die USA und China dafür zu gewinnen.
Auswirkungen des europäischen Emissionshandels
Die Existenz des EU-ETS habe außerdem Auswirkungen auf den einzelnen Verbraucher. So könne er durch verschiedene Maßnahmen – anders als angenommen - keine Einsparung von CO² erreichen: „In den Bereichen, in denen Klimaschutzmärkte, insbesondere die Märkte für Emissionszertifikate, im Hintergrund agieren, wirken sich individuelle Entscheidungen nicht auf das Klima aus. Dies gilt für die Sektoren Energie, Industrie, den innereuropäischen Flugverkehr (zumindest teilweise) und bald für den Schiffsverkehr.“
Verzichten beispielsweise viele Verbraucher auf das Fliegen, gäbe es überschüssige Zertifikate aus dem Flugverkehr. Diese würden aber andere Marktteilnehmer erwerben, so dass die Gesamtsumme an CO² unverändert bleibe. Sie ist durch den Cap von oben reguliert. Dies beschreibt er als „Wasserbett-Effekt“. Wenn an einer Stelle das Wasser verdrängt wird, sammle sich woanders mehr Wasser an. Da der Autoverkehr beispielsweise kein Bestandteil des EU-ETS ist, könne man hier tatsächlich Emissionen einsparen. Wambach spricht sich in diesem Kontext auch für den Ausbau von Rad-Schnellwegen, den Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Autos und die Förderung der Entwicklung von Technologien aus. So würden Anreize geschaffen, kostengünstig und effizient klimafreundlich zu handeln.

Achim Wambach
Klima muss sich lohnen – ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen
Herder – Verlag 2022, ISBN 978-3- 451-39358-7, 16 Euro